Mai 262014
 

Lietsch-TaktikEr ist fussballbesessen wie Lucien Favre und fiebert mit wie Jürgen Klopp. Er hat zwar kein Trainerdiplom, dafür eine Schiri-Lizenz. Seine unbestrittene Stärke: Er erkennt sofort, welches Spielsystem zum vorhandenen Personal passt. Mit einem 3:1-Sieg gegen den Tabellendritten feierte der neue Trainer einen fulminanten Einstand.

Für Nicht-Eingeweihte war es eine grosse Überraschung. Doch die Lietscher Mannschaft freute sich schon seit der Weihnachtsfeier auf das letzte Heimspiel. Niemand geringeres als der FC Arisdorf-Präsident höchstpersönlich durfte sich einen Lebenstraum erfüllen: 1x im Leben Lietsch zu trainieren. Mit allem drum und dran. Vom Vorbereiten der Spielerkarte auf clubcorner.ch über die Taktikbesprechung bis zur Übergabe der Spesen+Spielerkarte an den Schiedsrichter. Beeindruckt vom variablen Spielsystem von Juventus Turin, liess el Presidente mit einer Dreierkette spielen.

Schnelles Verschieben mit der Dreierkette
Alle drei (oder vier) Torhüter fielen verletzt aus. So musste Fintan im Tor aushelfen. Dass er in seiner Juniorenzeit eine seriöse Goalieausbildung genossen hatte, war alleine an seiner selbstsicheren Ausstrahlung zu erkennen. Seine Abstösse waren ganz hohe Schule. Die eigentliche Dreierkette bildeten Vögge-Bobo-Hasan – wahrlich eine geballte Dreifach-Ladung. Der eine ist der Inbegriff des Kopfballungeheuers, der andere löst Angriffe aus mit 50m-Steilpässen aus dem Fussgelenk und der Dritte hat noch nie in seiner Karriere ein Laufduell verloren. Vor ihnen eine Doppelsechs mit dem magistralen Otze (= Pirlo, Dreh- und Angelpunkt, Taktgeber und Schaltzentrale) und Mäx (= Staubsauger, hält Pirlo den Rücken frei). Vor der Doppelsechs Fabiano als klassischer offensiver Zentrumsspieler. Das kreative Scharnier zwischen Doppelsechs und Angriff. Zuständig auch, um die Befreiungsschläge abzufangen (= Rebounds) aus der Gelterkindener Abwehr. Ebenso hervorragend geeignet für Torabschlüsse per Kopf aus dem Hinterhalt.  Als hängende Spitze war Bato im Einsatz. Er kann den Ball wunderbar halten, abtropfen, weiterleiten oder selbst den Abschluss suchen. In der gesamten Liga beherrscht kaum ein anderer Spieler den letzten Pass in die Tiefe so perfekt wie Bato. Als klassischer Stossstürmer unser Captain Hatsch. Geht dorthin, wo es wehtut und zieht ab, sobald er die Chance riecht.  Auf den seitlichen Mittelfeldpositionen spielte unsere Hersberg-Nusshof-Fraktion. Genau solche Fussballer braucht es für diese Positionen. Sie müssen rauf und runter rennen, sie sind gleichzeitig Aussenverteidiger und offensive Aussenläufer. Extrem bissig, konditionsstark und schnörkellos ohne schnick-schnack oder klein-klein.

Fehlendes Wettkampfglück in der 1. Halbzeit
Von der 1. Sekunde an war Lietsch voll konzentriert dabei. Vögge hat gleich zu Beginn eine paar Ausrufezeichen gesetzt in punkte Zweikampfhärte. Mindestens 2x haarscharf an einer Gelben vorbei. Ein Freistoss von Gelterkinden führte bei Lietsch zu Diskussionen mit dem Schiedsrichter. Sogleich standen drei Lietscher um den Schiedsrichter. El Presidente musste ein erstes und letztes Mal korrigierend eingreifen und schrie aufs Feld “Nur der Captain diskutiert mit dem Schiri!” Das Gegentor nach 23 Minuten fiel aus Lietscher Sicht relativ unglücklich. Aber so etwas kann passieren. Sofort erhöhte Lietsch den Druck, gewann den höheren Spielanteil und scheiterte mehrmals knapp vor dem gegnerischen Gehäuse. Hatsch traf einmal die Latte (ca. 40. Minute). In der Nachspielzeit der 1. Halbzeit signalisierte Bobo eine Auswechslung an aufgrund einer Verletzung. Er sollte nicht mehr zum Einsatz gelangen.

Der verletzungsbedingte Ausfall von Bobo stellte den neuen Trainer vor die ersten grossen Probleme. Auf der Bank sass nämlich kein einziger Innenverteidiger. Johannes, Alen und Pommes waren schon für andere Einsätze vorbestimmt in den taktischen Überlegungen. So musste Julian Wiedmer einspringen für die restlichen Sekunden.

Remo Gürtler löst die Torblockade
Die 1. Priorität in der Halbzeitpause ist, sich ein Bild zu verschaffen von allen Beschwerden. Wer fühlt sich noch fit? Wer ist angeschlagen? Wer hat sonstwie Probleme? Zu Beginn der 2. Halbzeit gab es keine Auswechslungen. Julian und Hasan tauschten die Plätze, was sich schlussendlich als geniale Entscheidung herausgestellt hat. Hasan machte das Zentrum zu, da war absolut kein Durchkommen mehr. Julian spielte wohl den Match seines Lebens. Hat sich auf ungewohnter Position sofort in dieser taktisch sehr anspruchsvollen Rolle zurechtgefunden. Er hat Einfluss genommen auf das Zusammenspiel mit dem rechten Mittelfeldspieler. Zuerst war das Jan Müller und ab der 55. Minute Johannes Willi. Beim Doppelwechsel nach 10 Minuten gönnte der Trainer ebenso Remo Gürtler eine wohlverdiente Pause, der fünf Minuten zuvor das befreiende 1. Tor für Lietsch geschossen hatte. Für ihn kam Alen Zulji, welcher die Position als hängende Spitze einnahm. Dafür wechselte Bato auf die linke Seite. Der 1:1-Ausgleich war übrigens ein lehrbuchmässiger Angriff: Ein gewonnener Zweikampf im Mittelfeld, sofortiges Umschalten in die Offensive, Steilpass in die Tiefe und Remo kann von links ins leere Tor einschieben. Der Torschütze war Sekunden zuvor noch mit defensiven Aufgaben betraut.

Taktisch geschickte Auswechslungen
Jan und Remo haben sich für die Mannschaft aufgeopfert auf dieser Position, wo man bei hohen Temperaturen die Linie rauf- und runter rennen muss. Johannes fügte sich nahtlos ein ins Spielsystem und der Alen gab keinen Zentimeter auf dem Platz preis. Wuchtig warf er sich in den Ball und erzielte sieben Minuten nach seiner Einwechslung die umjubelte 2:1-Führung. Die Entscheidung fiel in der 70. Minute: Ein Eckball des überragenden Otze versenkte Fabiano per Kopf zum 3:1. Für den Trainer eine grosse Freude, da er stets die Bedeutung von Standards hervorhebt.

Gelterkinden liess nicht locker. Es entstand ein offener und fairer (keine Karten während des Spiels) Schlagabtausch. Eine Viertelstunde vor Spielende kamen noch einmal frische Kräfte aufs Feld: Bato und Hatsch (übergab Captain-Binde an Alen) verdienten sich die Auswechslung mit einem kräftigen Applaus von den Zuschauerrängen.  Neuer Stossstürmer war Pommes, unser an der Hand verletzte Torhüter. Für Bato kam noch einmal Remo zu einem zweiten Einsatz. Er konzentrierte sich bei diesem Spielstand vermehrt auf die Defensive.

Mit aller Kraft und Disziplin konnte Lietsch den 3:2-Anschlusstreffer verhindern und feierte stolz ein feines 3:1 gegen den Tabellendritten.

Die Mannschaft spielt für den neuen Trainer
Lietsch hat das neue System in einer Art und Weise umgesetzt, als würden sie seit Jahren nichts anderes spielen. Selbst das einmaleins des Fussballs haben die Jungs nicht vernachlässigt. Sie gingen konzentriert in die Zweikämpfe und haben taktisch geschickt verschoben. Die Mannschaft war willig, das neue System konsequent umzusetzen und hat selbst proaktiv mitgedacht. Sonst wäre dieser Sieg nicht möglich gewesen. Als Trainer kann man nämlich von aussen nur geringfügig Einfluss nehmen auf das Dargebotene auf dem Platz. Der eine oder andere Stockfehler kann selbstverständlich immer passieren auf dem Arisdörfer Wembley-Rasen. Insgesamt eine ganz geschlossene und solidarische Teamleistung. Jeder hat für den anderen gekämpft bis zum Schlusspfiff.

Dieses Spielsystem ist wirklich absolut genial! Es ist so variabel und flexibel. Eine Mannschaft kann situativ entscheiden ob eine offensive oder defensive Ausrichtung angemessen ist – je nach Spielsituation. Das Geheimnis sind die Aussenläufer. In der Defensive sind sie Aussenverteidiger. In der Offensive sind sie Flügelstürmer.  Bei einem Konter spielt die Doppelsechs das Scharnier. Durch geschicktes Verschieben entsteht nie eine Unterzahlsituation in der Defensive.

Nächsten Samstag am 31. Mai um 20 Uhr spielt Lietsch auswärts gegen Lausen. Auf Facebook können die Lietsch-Fans abstimmen, ob el Presidente ein weiteres Mal an der Seitenlinie stehen soll.

Telegramm Lietsch City F.C. vs. FC Gelterkinden

* Historisch korrekt kennt Voetbal total keine Doppelsechs. Das ist die holländische Perfektion von 4-3-3. Die Gemeinsamkeit mit dem Lietscher System ist die Variabilität, stetes Pressing sowie das blitzschnelles Umschalten und Kurzpassspiel. Das Alleinstellungsmerkmal: Jeder Spieler ist stets in Bewegung.

Voetbal total war das gesamte Wochenende von el Presidente: Am Samstag um 10 Uhr eine Führung im Sportmuseum Schweiz über Fussballgeschichte, anschliessend Autofahrt zur Schnelladestation der Garage Keigel nach Frenkendorf. Eine Stunde Aufenthalt auf dem Kittler bei den E-Junioren FC Frenkendorf – FC Concordia (10:9!). Danach Weiterfahrt nach Diegten. Um 14.45 Uhr Anpfiff als Schiedsrichter der B-Junioren beim Derby FC Diegten-Eptingen gegen den FC Gelterkinden. In der 80. Spielminute Gelb-Rot innerhalb von fünf Sekunden gegen einen Gelterkindener wegen zwei Beleidigungen zum Gegenspieler. Um 17 Uhr Abfahrt in Diegten nach Arisdorf. Um 17.15 Uhr Taktikbesprechung in der Lietscher Garderobe. 18 Uhr: Anpfiff 4. Liga als Trainer von Lietsch gegen Gelterkinden. Wegen der anschliessenden 3. Halbzeit den CL-Final verpasst. Doch am Sonntag um 11 Uhr in der früh bereits wieder am Spielfeldrand im Bachgraben: 3. Liga FC Schwarz-Weiss gegen den FC Frenkendorf (3:2). Es lebe der Amateur-Fussball !

 Veröffentlicht von am 26/05/2014

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