Mai 142006
 

Zuhören – eine Tugend, oder gefangen in monotonen Alltagsdialoge

Wenn man einem typischen Klischee Glauben schenken will, kann es der männliche Vertreter des homo sapiens nicht. Und der weibliche Vertreter legt, auch laut einem sich hartnäckig haltenden Klischee, anscheinend viel Wert darauf: Falsch, ich spreche vom Zuhören. Doch der Indiolekt fordert manchmal bei gewissen Menschen wirklich lautstark das Wegsehen und –hören, weil er einfach widerwärtig, langweilig oder unverständlich erscheint. Ich hoffe, und bitte korrigiert mich, wenn ich falsch liege, dass sich mein Indiolekt nicht mit den vorher erwähnten Adjektiven beschreiben lässt. Doch nun zu der Geschichte, welche ein Wachrütteln in mir, vielleicht auch in Euch und Euren Partnerinnen und Partnern ausgelöst hat bzw. auslösen wird.

Aus unerklärlichen Gründen konnte ich mir nach einem samstäglichen Match nicht die Zeit nehmen, vor dem Ausgehen etwas “Gesundes“ zu kochen. Also entschloss ich mich wider Willens zu einem Besuch im neuen Imbiss-Restaurant “Brötchen König“ (der echte Name will ich aus werbetechnischen Gründen verschweigen) am Basler Hauptbahnhof, um nicht in der Hälfte des Feierns die Kontrolle über meine Konzentration, motorischen Fähigkeiten und über mein Sprachorgan (d.h. teilweise) zu verlieren. Im Eingangsportal dieses Restaurants erwartete mich schon sehnsüchtig ein Sicherheitsangestellter. Seine Blicke verrieten mir, dass er seinen Job extrem gut ausüben will. Angekommen am Bestell-Tresen erfolgte der Dialog of the current year, welcher in mir Entsetzen, nein, schlimmer, Auflösungserscheinungen hervorrief:

Es begrüsste mich Sandy (auf dem Namensschild gut lesbar (wahrscheinlich wurde sie umgetauft, um das amerikanische Flair dieses Restaurants zu unterstützen, weil Sandra nun ja wirklich viel mehr nach “Röschti-mit-Spiegelei“ als nach “Doppel-Wopper“ oder “Crispy-Chicken“ tönt)). Als Begrüssung schlug sie mir ein “Guete’nobe-was-hätte-sie-gärn?“ an den Kopf. Ich, immer noch mit den farbenprächtigen Preisschildern, den Brötchen-Bilder und Kombinationsmöglichkeiten der Menüs und deren Beilagen beschäftigt, wurde völlig aus meinem Auswahlverfahren gerissen. “Ei Moment bitte“, schien mir eine passende Antwort zu sein. In diesem Moment sah ich die Uhr links an der Wand, auch im American-Style: Huch, schon 10 nach 11. Ich musste mich beeilen, so dass ich meine Begleitung nicht noch länger warten lassen muss. Um die Bestellung ein wenig zu beschleunigen komprimierte ich die für die Bestellung nötigen Informationen in einen Satz, den ich aber langsam und präzise vortrug: “Ich hätti gärn e Crispy Chicken Menü, medium, mit normale Pommes Frites und Cola ohni Eis, alles zum Mitneh, bitte.“ Ihre Gegenfrage: “Hätte Sie s’Menü gern medium, large oder XXL?“ Zugegeben war ich ein bisschen perplex: “Eeehm… wie gseit, eh, medium“. Weiter fragte Sie: “mit Sprite, Mineral oder Cola?“ Ok, mein Gemüt war natürlich vom Match noch ein bisschen aufgewühlt. Ich wurde ein bisschen kantig, d.h. nein, ich wurde wütend, liess mir aber nichts anmerken und antwortete brav. “Zum Mitneh oder zum do esse?“ war die nächste Frage. Meine Vermutung, dass Sie einen Moment nicht zugehört hatte, war falsch. Dies wurde mir sogleich bewusst. Ich war in ein Frage-Raster geraten. Es gab keinen Weg diesen zu verlassen und nur eine Richtung, aus diesem zu gelangen: mitspielen.

Ich verliess das Schnell-Imbiss-Restaurant mit dem Menü. Beim ersten Schluck Cola musste ich feststellen: Auch die Anmerkung “ohni Eis“ hatte im Frageraster keinen Platz.

Nun frage ich mich: Darf durch dieses Erlebnis eine These für alle Frauen wagen? Nein, ich denke nicht. Denn es sind ja nicht alle Frauen so. Denn auch nicht alle Männer vertreten ein Klischee. Es gibt wie immer bei einer Behauptung solche, die durch ihr Verhalten diese bestätigen und solche, die diese widerlegen.

Auf taube Ohren zu stossen bei einer Service-Angestellten in einem Restaurant finde ich verhängnisvoll. Man fühlt sich nicht verstanden. Wenn ich meinem Arzt meine Leidensgeschichte erzähle will ich nicht, dass er mich kritisiert oder mir eine ungesunde Lebensweise ankreidet, nein. Ich will dass er mich bemitleidet, mir zuhört und mir dann hilft, indem er mir ein Medikament verschreibt oder auch wenn er nur seine Hand auf mein schmerzendes Knie legt. Ich hatte nach diesem Restaurant-Besuch genau dieses Gefühl, als hätte mir mein Arzt gesagt: “Die einzige Ursache für ihr Rückenschmerzen ist ihr massives Übergewicht“. Rums, die Realität an den Schädel geknallt. Ich fühle mich schlecht, habe Schmerzen, gehe zum Arzt und er sorgt dafür, dass ich mich noch schlechter fühle.

Es geht schliesslich immer um das Gleiche: Wir wollen verstanden werden. Ob in einer Beziehung, beim Arzt oder eben in einer Konversation mit einer Bedienung. Wir sind im Stress, wollen den Zug noch erwischen und müssen links an der Menschenschlange auf der Rolltreppe vorbei. Doch ein introvertierter, uneinfühlsamer Ignorant schleckt seine Glacé auf der linken Seite. Da erscheint eine alte Dame, die mich sieht und ihn vorzeitig darauf hinweist, dass ich mitsamt dem Gepäck vorbeirennen muss doch wie ein Engel, eine Göttin. Denn sie hat mich verstanden. Dies ist der Balsam im Alltag, den wir brauchen. Wenn die Zeit gereicht hätte, ich hätte sie geküsst.

Versucht doch, einander zu verstehen. Das Leben wird dadurch enorm vereinfacht. Zugegeben fällt es von Zeit zu Zeit enorm schwer, jemanden zu verstehen. Denn es braucht oft Toleranz, Geduld und Einfühlungsvermögen. Eigenschaften, über die nicht jeder in der gleichen ausgeprägten Weise verfügt. Aber ich denke, ein Versuch ist es wirklich wert.

 Veröffentlicht von am 14/05/2006

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